
v.l.n.r.: Spitzer, Fanninger (GsK), Lang (Land Stmk), Till (GsK) Foto: A. Resch/Land Stmk
Pressemitteilung – 18. Jänner 2023
Im Fokusreport „Unfälle im toten Winkel und aufgrund von Sichtbehinderungen“ hat sich das Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE mit Unterstützung des Verkehrsressorts des Landes Steiermark intensiv mit dem Faktor „Toter Winkel und ähnlichen Sichteinschränkungen“ bei Unfällen im Straßenverkehr auseinandergesetzt. Auf diesen Erkenntnissen basierend wurde das Schulprojekt „Augen auf die Straße – Ich seh‘, was du nicht siehst!“ für alle Schulen der 1. bis 6. Schulstufe entwickelt. Sport- und Bewegungsübungen, Videos, Simulationen und Arbeitsblätter ermöglichen es den Pädagog:innen, den Themenbereich „Sichteinschränkung“ mit Übungen zum Perspektivenwechsel eindrücklich zu veranschaulichen und vielfältig in den Unterricht einfließen zu lassen.
„Die Erhöhung der Verkehrssicherheit ist mir seit Jahren ein großes Anliegen. Immer noch passieren leider viel zu viele Unfälle, die zu einem großen Teil auf Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Ablenkung zurückzuführen sind. Mit unserem Erfolgsprojekt ´Augen auf die Straße´ setzen wir jedes Jahr Akzente, um das Bewusstsein für das richtige Verhalten im Straßenverkehr weiter zu erhöhen. Es ist mir besonders wichtig hierbei bereits bei unseren Kindern und Jugendlichen anzusetzen. Daher freue ich mich sehr, dass uns auch in diesem Jahr der Verein GROSSE SCHÜTZEN KLEINE als Partner für noch mehr Verkehrssicherheit zur Seite steht und mit diesem Projekt Kinder auf die Gefahren im Straßenverkehr vorbereitet“, sagt Verkehrsreferent LH-Stv. Anton Lang.
Für den Fokusreport „Sehen und gesehen werden – Unfalle im toten Winkel und aufgrund von Sichtbehinderungen“ hat das Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE die Verkehrsunfallstatistik Österreich der Jahre 2015 bis 2019 analysiert.
Über alle Altersgruppen hinweg ereigneten sich in Österreich in diesem 5-Jahres-Zeitraum 186.410 Verkehrsunfälle, bei denen 236.864 Personen verletzt wurden – 2.150 davon tödlich.
Unfallursachen rund um „Sehen und gesehen werden“
Bei 39.986 (= 21,5 %) aller Verkehrsunfälle, bei denen sog. ungeschützte Verkehrsteilnehmer:innen betroffen waren, spielte der Faktor „Sehen und gesehen werden“ eine entscheidende Rolle. Davon passierten wiederum ganze 96 % aufgrund des toten Winkels, „nur“ 4 % aufgrund der schlechten Lichtsituation. „Beim toten Winkel denken viele vermutlich sofort an einen Lkw, einen Bus oder einen Traktor. Der ‚verletzende Unfallgegner‘ war allerdings in 91 % der Fälle ein Pkw. In ‚nur‘ 7 % der Fälle handelte es sich um einen Lkw, und in je 1 % der Fälle um einen Bus oder einen Traktor“, betont Univ.-Prof. Dr. Holger Till, Präsident des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE. Betrachtet man den genauen Unfallhergang in Zusammenhang mit „Sehen und gesehen werden“, so lässt sich feststellen, dass 57 % der Unfälle aufgrund von Sichteinschränkungen durch zu knappes Queren der Straße vor, durch zu knappes Bewegen neben dem Fahrzeug oder durch unbemerktes Vorbeigehen hinter dem reversierenden Fahrzeug passierten, 28 % aufgrund des toten Winkels beim Linksabbiegen, 11 % aufgrund des toten Winkels beim Rechtsabbiegen und „nur“ 4 % aufgrund des Nicht-gesehen-Werdens wegen schlechter Lichtsituation.
Jugendliche Verkehrsteilnehmer:innen besonders stark gefährdet
Till: „Blicken wir nun auf die Altersgruppe der Verunfallten in Zusammenhang mit ‚Sehen und gesehen werden‘, so können wir erkennen, dass der bei weitem größte Teil der Unfälle, nämlich 16,5 %, bei den 15-19-Jährigen passiert.“ In Bezug auf die Art der Verkehrsteilnahme sind Fußgänger:innen mit 36 % an erster Stelle zu finden, gefolgt von Radfahrer:innen (33 %), Mopedfahrer:innen (31 %) und Personen, die mit einem Spiel- und Sportgerät, wie z.B. einem Scooter, (1%) unterwegs waren. Auch im Hinblick auf die tödlichen Verletzungen sind Fußgänger:innen am stärksten gefährdet. Danach folgen Mopedfahrer:innen, Nutzer eines Spiel-/Sportgerätes und Radfahrer:innen. Dr. Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE: „Insgesamt besonders riskante Situationen sind das knappe Vorbeigehen von Fußgänger:innen vor/hinter/neben Pkw, Lkw und Bus, das Linksabbiegen von Pkw oder Lkw für entgegenkommende Mopedfahrer:innen sowie das Rechtsabbiegen von Lkw für Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und Nutzer:innen von Spiel- und Sportgeräten. Hier gibt es auffällig viele schwer bis tödlich verletzte Unfallopfer.“ Die meisten Unfälle im toten Winkel und aufgrund von Sichtbehinderungen passieren innerorts, bei Tageslicht und im ungeregelten Kreuzungsbereich (keine Ampel).
Unfallprävention in Schule und Führerschein-Ausbildung
„Um Unfällen im toten Winkel und aufgrund von Sichtbehinderungen entgegenzuwirken, empfehlen wir die Erweiterung mit entsprechenden Ausbildungsinhalten in der schulischen Verkehrs- und Mobilitätserziehung, in der Ausbildung zur „Freiwilligen Radfahrprüfung“ sowie in der Führerscheinausbildung (AM, A, B, C). Ausbildungsschwerpunkte sollten sich auf Rollentausch und Reflexion beziehen (Vor-/Nachteile der verschiedenen Arten der Verkehrsteilnahme in puncto „Sehen, gesehen werden, Umsicht“, im Zweifel passives Verhalten im Verkehr vorziehen). Im Projekt ‚Augen auf die Straße – Ich seh‘, was du nicht siehst!‘ haben wir viele Übungen zum Perspektivenwechsel für den Unterricht in der Schule vorbereitet“, so Spitzer.
Projekt „Augen auf die Straße – Ich seh‘, was du nicht siehst!“
Als dritter Teil der „Augen auf die Straße“-Serie für Schüler:innen, wurde nun nach „Augen auf die Straße, fertig, los!“ (Schwerpunkt Ablenkungen im Straßenverkehr) und „Augen auf die Straße – Trittsicher unterwegs!“ das Schulprojekt „Augen auf die Straße – Ich seh‘, was du nicht siehst!“ für die 1. bis 6. Schulstufe entwickelt.
„Kinder haben in diesem Alter noch Schwierigkeiten, den Blickwinkel eines anderen einzunehmen, sich in dessen Rolle hineinzuversetzen und die eigene Wahrnehmung als nur eine von mehreren Möglichkeiten zu begreifen. Anfang Volksschulalter haben Kinder noch eine ‚Was ich sehe, ist da, was ich nicht sehe, ist nicht da‘-Wahrnehmung. Sie gehen entsprechend auch z.B. oftmals davon aus, dass ein/e Autolenker:in sie sieht, sobald sie selbst das Auto sehen“, betont Spitzer.
Mit 9 Jahren ist das Gesichtsfeld gegenüber dem eines Erwachsenen außerdem noch um ein Drittel eingeschränkt. Erst mit 10 bis 12 Jahren hat das Kind das gleiche Gesichtsfeld wie ein Erwachsener.
Bei den Jugendlichen spielt die Ablenkung durch das Handy eine zunehmende Rolle. In Stresssituationen kann es zu einer Fokussierung der Aufmerksamkeit kommen, wie z.B. „Ich muss den Bus noch schnell erreichen“, und das Verkehrsgeschehen rundherum wird „vergessen“.
Auch erwachsene Verkehrsteilnehmer:innen sind oftmals, vor allem durch das Handy, abgelenkt. Darüber hinaus wird die Wichtigkeit des Blickkontakts zu anderen Verkehrsteilnehmer:innen von Personen jeden Alters und bei jeder Art der Verkehrsteilnahme oftmals unterschätzt (z.B. beim Überqueren eines Zebrastreifens).
Die Toolbox zum Projekt „Augen auf die Straße – Ich seh‘, was du nicht siehst!“ wird allen steirischen Pädagog:innen der 1. bis 6. Schulstufe zur Verfügung gestellt. Sie beinhaltet ein Projekthandbuch mit Arbeitsblättern und Übungen zum Perspektivenwechsel, Kurzvideos mit Sport- und Bewegungsübungen, ein Übungsposter fürs Klassenzimmer und eindrucksvolle Aufgaben zum Fokus „Toter Winkel und Sichtbehinderungen“ auf der E-Learning-Plattform (www.grosse-schuetzen-kleine.at/e-learning) des Vereins.
„Wenn wir durch unseren Beitrag nur ein Kind vor einem Unfall bewahren können, so hat sich unsere Arbeit an diesem Projekt schon mehr als gelohnt“, so Till abschließend.
Den gesamten Fokusreport „Sehen und gesehen werden – Unfälle im toten Winkel und aufgrund von Sichtbehinderungen“ finden Sie hier:
www.grosse-schuetzen-kleine.at/forschungszentrum/publikationen/
Zum Projekt
Alle Unterlagen und Übungen zu "Augen auf die Straße - Ich seh' was du nicht siehst" finden Sie