Symbolbild, Fotocredit: Fechter/Univ.Klinikum Graz
Pressemitteilung – 4. Juni 2024
Im Bezirk Leibnitz war eine Siebenjährige letzte Woche von einem Rottweiler so heftig in den Oberkörper gebissen worden, dass sie schwerste Verletzungen an Schulterblatt, Rippen, Lunge und Milz erlitt. Der Unfall ereignete sich im Garten einer Familienangehörigen bei der das Mädchen mit seinem Vater zu Besuch war. Der Verein GROSSE SCHÜTZEN KLEINE betont: Rd. 800 Kinder werden jährlich in Österreich von Hunden gebissen. In rd. der Hälfte der Fälle beißt der „bekannte Hund“, das heißt, der Hund von Großeltern, Onkeln, Tanten, Nachbarn oder Freunden. Durch Beachten einiger Sicherheitstipps lässt sich das Hundebiss-Risiko stark senken.
In der Studie „Verletzungen durch Hundebisse bei Kindern bis zum 14. Lebensjahr“ untersuchten Univ.-Prof. Dr. Holger Till, Präsident des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE und Vorstand der Grazer Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie und Dr. Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE die Unfallhergänge von 296 Kindern, die zwischen 2014 und 2018 nach einer Verletzung durch einen Hund an der Grazer Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie behandelt wurden. Rd. Dreiviertel dieser Unfälle waren Hundebisse, der Rest Verletzungen durch z.B. Umgeworfen werden vom Hund oder Stolpern über die Leine.
Hundebisse meist durch „bekannten Hund“
Besonders auffällig: In nur 23 % der Fälle beißt der eigene Hund. Fast jeder zweite Biss wird durch einen „bekannten“ Hund, also zumeist durch den Hund von Großeltern, Onkeln und Tanten oder Nachbarn, verursacht. Bei einem Viertel der Vorfälle ist ein dem Kind gänzlich fremder Hund beteiligt. Die Kinder, die vom Hund der Großeltern oder vom Hund von Tante/Onkel gebissen wurden, waren durchschnittlich die Jüngsten. „Das bedeutet, dass im erweiterten familiären Umfeld des Kindes großer Aufholbedarf an Wissen über die Thematik Hund/Kind gegeben ist. Der Anteil der schweren Verletzungen liegt weit über dem Durchschnitt, wenn Hundehalter die Großeltern und Onkel/Tante sind. Die Familie muss also besonders sorgfältig aufeinander aufpassen“, so Till.
Kopfverletzungen bei Kindern im Vordergrund; körperliche und psychische Folgen
Till: „Laut unserer Studie ist bei jedem zweiten Hundebiss bei Kindern der Kopf betroffen, in 27 % der Fälle die Arme/Hände, in 20 % der Fälle die Beine/Füße und in 8 % der Fälle der Rumpf/das Becken. Je jünger das Kind, desto höher das Risiko für eine schwere Bissverletzung und eine Verletzung des Kopf-/Halsbereichs.“ Jedes zehnte Kind wird infolge eines Hundebisses stationär aufgenommen. Die Wunden müssen meist operativ versorgt werden. „Im Durchschnitt sind die Kinder beim Hundebiss sechseinhalb Jahre alt. Genauso viele Mädchen wie Buben sind in Unfälle mit dem Hund verwickelt. Zumeist wurden die Kinder beim Spielen mit dem Hund gebissen, gefolgt vom Vorbeilaufen/-krabbeln und Streicheln“, ergänzt Spitzer. 15 % der in der Studie befragten Eltern gaben außerdem an, dass ihr Kind mit den körperlichen Folgen des Bisses (meist Narben) zu kämpfen hatte. Etwa jedes zweite Kind leidet bzw. litt nach dem Unfall an Angst vor Hunden.
Hunde sind keine Stofftiere
Hunde wirken auf Kinder oft „süß“, gefördert durch die Verniedlichung der (oftmals sprechenden) Vierbeiner in Kinderfilmen und -büchern. „Ganz wichtig ist es daher, dass Eltern ihren Kindern bewusstmachen, dass Hunde Lebewesen mit Bedürfnissen und Instinkten sind. Werden diese vom Menschen missachtet, beißt selbst der ‚friedlichste Familienhund‘ in manchen Situationen zu. Vor allem, wenn man ihn zu sehr bedrängt oder es um sein Futter geht“, gibt Spitzer zu bedenken.
Empfehlungen zur Vermeidung von Hundebissen
Zusammenfassung der Erkenntnisse aus dem Fokusreport des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE und anderer internationaler Studien:
Zentrale Botschaften:
- Informieren Sie Ihr Kind über den richtigen Umgang mit dem Hund! Weisen Sie auf die natürlichen und „wilden“ Verhaltensmuster des Tieres hin! Vermeiden Sie falsches Zutrauen oder Verniedlichung! Gefahr lauert nicht nur bei großen, „gefährlich aussenden“ Hunden, auch beim eigentlich vertrauten friedliebenden Haustier ist generell Vorsicht geboten.
- Verwenden Sie für Ihren Hund in der Öffentlichkeit konsequent Leine und Beißkorb!
- Verbieten Sie dem Kind, ein fressendes oder schlafendes Tier zu stören!
- Schaffen Sie sich keinen großen Hund an, wenn Sie ein Kleinkind in der Familie haben (v.a. keinen Schäferhund)! Wenn noch kein Hund in der Familie ist, sollte dieser erst angeschafft werden, wenn das jüngste Kind das Schulalter erreicht hat.
Anschaffung eines Hundes:
- Information, ob die Rasse zu den persönlichen Möglichkeiten passt
- Kauf einer bestimmten Hunderasse nicht nur aufgrund eines aktuellen Modetrends
- Anschaffung eines Hundes nicht vor einem Kind (Rangfolge – Eifersucht)
Bewusstseinsbildung:
- „Training“ bei Kindern bis zum Volksschulalter nur bedingt erfolgreich
- Risikobewusstsein entwickelt sich erst bis Ende Volksschulalter
- Hundesprache wird bis zum Volksschulalter nur ungenau erkannt und interpretiert
- Gesichtsmimik des Hundes täuscht Kinder oftmals (ungewollt!) Traurigkeit und Kuschelbedürfnis vor
- Hundefilme, v.a. mit sprechenden Hunden, vermitteln jüngeren Kindern ein falsches Tierbild
- Kindern gegenüber dem eigenen Hund die Grenzen klar aufzeigen und abstecken
- Verhalten gegenüber bekanntem Hund genau definieren
- Striktes Verbot fremde Hunde anzugreifen
Beaufsichtigung:
- Familieneigene Hunde möchten mit Babys und Kleinstkindern unter Umständen nur spielen und sie ziehen oder weitertragen. Ihre Beißkraft kann dabei jedoch bereits – vom Hund ungewollt – zu schwerwiegenden Verletzungen führen.
- Kinder unter fünf Jahren nicht mit einem Hund alleine lassen!
- Schaukelnde Kinder sind eine sehr interessante „Beute“
- Vorsicht bei altersmäßig jungen Hundehalter:innen – diese sind oft mit der Aufsicht überfordert
- Größte Vorsicht bei mehreren Hunden (fühlen sich im Rudel noch stärker)
- Fremde Hunde in der Öffentlichkeit eher gereizt und „beißfreudig“ (Stress)
- Abstand zu liegenden fremden Hunden halten (in der Öffentlichkeit, im Lokal)
Verhaltenskodex für den richtigen Umgang mit Hunden:
- Riechen ist für Hunde ein wichtiges Kommunikationsmittel => Vor dem Streicheln erst beschnuppern lassen
- Hunde jagen gerne alles, was läuft => Nicht an Hunden vorbeilaufen
- Hunde laufen schneller als Menschen => Nicht versuchen davonzulaufen
- Schreien kann aggressives Verhalten hervorrufen => Ruhig bleiben
- Ein Hund ist kein Stofftier oder Spielzeug => Hunde nicht umarmen oder küssen
- Direkter Augenkontakt könnte als Aggression gedeutet werden => Direkten Augenkontakt vermeiden
- Hunde beißen meist in Arme, Beine und Kopf/Hals => Bei Angriff ruhig stehen bleiben (Beine zusammen), Kopf/Hals mit Armen und Händen schützen
- Am Boden liegen kann Angriffe provozieren => Aufstehen; Bei Angriff im Liegen, Gesicht zu Boden; Ohren mit Händen bedecken; Nicht bewegen
- Kämpfende Hunde beißen alles in ihrer Nähe => Bei einem Hundekampf nicht dazwischen gehen
Kindergarten-Workshop „Kindersicherheit & Tierwohl“ sensibilisiert bereits die Jüngsten
Im Rahmen der steiermarkweit durchgeführten „Kindersicherheit & Tierwohl“-Workshops sensibilisiert der Verein GROSSE SCHÜTZEN KLEINE mit Unterstützung des Tierschutzressorts des Landes Steiermark bereits Kindergartenkinder für den richtigen, sicheren Umgang mit Haus-, Bauernhof- und Weidetieren. „Die Verantwortung für die Sicherheit der Kinder im Umgang mit den Vierbeinern liegt aber in diesem Alter selbstverständlich ausschließlich bei den Erwachsenen“, betont Till.
Mehr zum Projekt: www.grosse-schuetzen-kleine.at/projekte/kindergarten-projekt-kindersicherheit-tierwohl
Die gesamte Studie „Verletzungen durch Hundebisse bei Kindern bis zum 14. Lebensjahr“ finden Sie auf