Pressemitteilung – 21. August 2024
Rund 50 Mountainbike-Unfälle von Kindern und Jugendlichen (bis 18 Jahre) werden jährlich an den Grazer Universitätskliniken für Kinder- und Jugendchirurgie und für Orthopädie und Traumatologie behandelt. In den letzten Jahren ist die Zahl der Unfallopfer gestiegen. Hochgerechnet auf die Steiermark sind das ca. 150, auf Österreich rd. 1.500 Unfälle. Was bei Mountainbike-Unfällen hervorsticht: Nahezu die Hälfte der Verletzungen ist medizinisch als „schwer“ einzustufen. Mit adäquater Schutzausrüstung und ein paar Sicherheitstipps lässt sich oft Schlimmeres verhindern.
In der aktuellen Studie des Forschungszentrums für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE wurden alle 359 Mountainbike-Unfälle von Kindern und Jugendlichen (bis 18 J.) analysiert, welche an der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie und an der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie Graz in den Jahren 2015 bis 2023 behandelt wurden. Um möglichst detaillierte Informationen zum Unfallgeschehen zu erhalten, wurde außerdem 207 Personen der Behandlungsjahre 2021 bis 2023 ein Fragebogen zugeschickt. Letztlich konnten 62 Fälle bzw. Fragebögen in diese erweiterte Analyse miteinbezogen werden. Unterstützt wurde das Forschungsvorhaben von Wissenschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl.
Burschen in der Pubertät verunfallen am häufigsten – einige mehrmals
„Wenn wir den gesamten Zeitraum von 2015 bis 2023 in Dreijahresperioden abbilden, zeigt sich, dass die Anzahl der Mountainbike-Unfälle sukzessive gestiegen ist. Knapp 46 % der Unfälle wurden in den letzten drei Jahren behandelt. Dies scheint ein verstärktes Interesse am Mountainbiken als Freizeitsportart widerzuspiegeln. Mountainbiken ist offensichtlich vor allem für Burschen äußerst attraktiv. Infolgedessen sind auch knapp 92 % der behandelten Kinder und Jugendlichen männlich. Der Altersschnitt bewegt sich um die 13 Jahre. Die Unfallwiederholer:innen liegen beim Mountainbiken mit 6,6 % weit über dem Gesamtschnitt aller behandelten Unfallarten“, so Dr. Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE.
Fast jeder Zweite schwer verletzt, häufig Brüche an Armen/Händen
Univ.-Prof. Dr. Holger Till, Präsident des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE und Vorstand der Grazer Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie: „Bei Mountainbike-Unfällen beläuft sich der Anteil an schweren Verletzungen auf 47 % – ein hoher Wert im Vergleich zu anderen Unfallarten. 11 % der jungen Unfallopfer müssen wir stationär aufnehmen. Sehr häufig sehen wir Knochenbrüche (36 %), immer wieder auch Schädel-Hirn-Traumata (6 %) und Bänderrupturen (5 %). Alle anderen Verletzungen können der Großgruppe von Prellungen und Wunden zugeordnet werden.“ Die Arme und Hände sind mit 51 % am häufigsten von einer Verletzung betroffen, gefolgt von Kopf, Beinen und Füßen sowie Körperstamm (je 16-17 %).
Meist Einzelsturz beim „klassischen Mountainbiken“, aber auch Downhill und Obstacles
Der Einzelsturz kommt mit vier von fünf Unfällen als die häufigste Unfallart vor. Danach folgt mit 13 % der Anprall an einem Objekt, oft einem Baum. Betrachtet man das „klassische Mountainbiken“, das Downhill-Fahren sowie das Bewältigen sogenannter Obstacles, so zeigt sich, dass die Unfälle zum Großteil (59 %) beim „klassischen Mountainbiken“ passieren. Danach folgen der Sturz beim Downhill-Fahren (18 %) sowie der missglückte Sprung bzw. die schiefgegangene Landung bei der Bewältigung von Obstacles (8 %). „Durch Geschwindigkeit und Sprunghöhe ergibt sich beim Downhill-Fahren sowie bei der Bewältigung von Obstacles oft eine enorme Unfallenergie. Der Anteil an schweren Verletzungen ist hier entsprechend noch höher (rd. 60 % im Vergleich zu 47 % beim Sturz beim ‘normalen Fahren‘)“, gibt Till zu Bedenken.
Nur 11 % der Unfallopfer gaben an, dass sie, als es zum Unfall kam, alleine unterwegs waren. Meist fuhren die Kinder und Jugendlichen entweder in einer gemischten Gruppe aus Kindern und Erwachsenen (39 %), gefolgt von mehreren Kindern und Jugendlichen alleine (30 %) und dem Kind gemeinsam mit Erwachsenen (20 %).
Helm wird von fast allen getragen, weitere Schutzausrüstung empfehlenswert
Spitzer: „Der Radhelm zählt zur Standard-Schutzausrüstung beim Mountainbiken und wird entsprechend auch von nahezu allen Befragten getragen. Danach folgen Handschuhe (74 %) und Brillen (48 %). Der Knieschutz (45 %) kommt von der Häufigkeit her noch vor dem Rückenprotektor (37 %). Nur ein Fünftel trägt Clip-Schuhe, wobei gerade das Abrutschen von den Pedalen des Öfteren als Unfallursache angegeben wurde.“
Risikofaktoren und Folgen des Unfalls
Die verunfallten Personen schätzen sich zu 90 % als „sehr routiniert“ ein. „Auf der einen Seite werden von den Befragten als Risikofaktoren eine unbekannte Strecke wie auch ein neues Bike erwähnt, auf der anderen Seite sind es typische pubertäre, ‚männliche‘ Persönlichkeitsfaktoren wie ‚Freunden imponieren‘, ‚Fahrkönnen überschätzt‘ oder ‚zu schnell unterwegs“. „Selbstüberschätzung, Imponiergehabe und Gruppendruck sind für diesen Entwicklungsabschnitt generell typische Persönlichkeitsmerkmale, welche beim Mountainbiken aufgrund der Dominanz der Burschen erwartungsgemäß, aber auch „auskunftsehrlich“ sehr häufig angegeben wurden“, so Spitzer.
Die persönliche Analyse der Unfallsituation zeigt außerdem, dass rund ein Drittel keine Erkenntnis aus dem Unfallereignis gewonnen hat. 5 % haben keine verändernde Einsicht gezeigt. Umgekehrt bezogen 42 % das Unfallgeschehen auf das unmittelbare eigene Verhalten und 16 % meinten, dass mit besserer Routine das persönliche Unfallrisiko gesenkt werden könne. Bei den Kindern und Jugendlichen gaben 45 % an, dass sie an körperlichen und psychischen Folgen leiden – unter den Eltern gaben dies 21 % für ihr Kind an. Im Extremfall wurde die weitere Ausübung der Sportart sogar von den Eltern verboten.
Sicherheitstipps und zentrale Inhalte für die Unfallprävention:
- Aufgrund der hohen Unfallenergie ist das Tragen adäquater Sportbekleidung und Schutzausrüstung (Helm, Rückenprotektor etc.) unerlässlich.
- Mountainbiken ist oft für Burschen in der Pubertät besonders interessant (Stichwort Sicherheitsverhalten/Risikolust). Daher ist ein Safety Coaching durch die Eltern bzw. Trainer:innen gerade in dieser Entwicklungsphase von großer Bedeutung.
- Eine bekannte Strecke verleitet zu mehr Lockerheit. Routine beeinflusst das Unfallgeschehen also letztlich negativ.
- Bei einem neuen Mountainbike ist größere Vorsicht geboten und ein Herantasten mit größerer Konzentration angeraten.
- Ausbildungs- und Trainingsstunden sind beim Mountainbiken sowie vor allem beim Downhillen und Obstacle-Fahren/-Springen unbedingt notwendig.
- Vor einer Trainingsstunde ist es sinnvoll, nicht nur den Körper aufzuwärmen, sondern auch den Kopf – im Zuge einer Risikobesprechung innerhalb der Trainingsgruppe. Hierbei sollen die zentralen Themen von Sicherheit und Sporttechnik gemeinsam behandelt und allenfalls spezielle Herausforderungen für das kommende Training angesprochen werden.
- Nach einem Unfall macht natürlich eine Ursachenanalyse Sinn, um daraus zu lernen.
Weitere Studienergebnisse im Fokusreport „High Impact Unfälle: Reiten und Mountainbiken: Zwei Beispiele energiereicher Unfallarten“.