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Ertrunken, vom Sprungturm gestürzt, Zähne beim Rutschen ausgeschlagen: Kinder- und Jugendunfälle im „Freizeitraum Wasser“

Pressemitteilung – 5. Mai 2022


Ertrinken ist DIE Gefahr schlechthin beim Baden. Doch auch abseits dieses absoluten Schreckensszenarios passieren österreichweit jährlich rd. 2.700 spitalsbehandelte Kinder- und Jugendunfälle im und am Wasser: Stürze von Sprungtürmen, Unfälle auf Wasserrutschen und vieles mehr. Der Verein GROSSE SCHÜTZEN KLEINE hat diese Vorfälle nun umfassend analysiert.


In der Studie „Freizeitraum Wasser“ beschäftigten sich Univ.-Prof. Dr. Holger Till und Dr. Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE intensiv mit Kinder- und Jugendunfällen rund ums Baden – vom Ertrinkungsunfall über den Sturz vom Sprungturm bis hin zu folgenschweren Kollisionen auf der Wasserrutsche war alles dabei.

Horrorszenario Ertrinken

Die größte Gefahr im und am Wasser stellt das Ertrinken dar. Kinder ertrinken lautlos und innerhalb weniger Minuten. Laut Statistik Austria ertranken in Österreich im Zeitraum 2016 – 2020 16 Kinder (0-14 J.). Im selben Zeitraum verunfallten in allen Lebensbereichen insgesamt 94 Kinder tödlich. „Ertrinken war damit die Ursache für beinahe jeden fünften tödlichen Kinderunfall. Betroffen waren zu 56 % Kleinkinder bis 4 Jahre, gefolgt von Kindern in der Pubertät (10-14 J.) mit 25 % und Kindern im Volksschulalter (19 %)“, so Univ.-Prof. Dr. Holger Till, Präsident des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE und Vorstand der Grazer Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie.

Die Recherche der Medienberichte über Vorfälle seit 2007 brachte bei den 0-14-Jährigen in Summe 265 tödliche Ertrinkungs- und nicht tödliche Beinahe-Ertrinkungsunfälle hervor. Beides passierte das ganze Jahr über, die Höhepunkte lagen erwartungsgemäß mit insgesamt 65 % der Unfälle in den Sommermonaten Juni, Juli und August. Die Altersverteilung bei diesen Ertrinkungsvorfällen war ähnlich wie bei den tödlich ausgegangenen Ertrinkungsunfällen: 58 % der 265 Kinder waren zwischen 0 und 4 Jahren alt, 25 % zwischen 5 und 9 Jahren und 17 % zwischen 10 und 14 Jahren.

Auch bleibende Behinderungen sind Thema

Von den 265 Unfällen endeten 18 % tödlich, 82 % der Kinder überlebten. „Ganz wichtig zu bedenken ist jedoch, dass das nicht heißt, dass 8 von 10 Ertrinkungsunfällen glimpflich ausgehen. Bei weiteren zwei dieser Kinder werden aufgrund des Sauerstoffmangels lebenslange, teils schwere, Behinderungen die Unfallfolge sein“, betont Till.

Wo passierten nun die meisten (Beinahe-)Ertrinkungsvorfälle? Dr. Peter Spitzer weiß: „Etwa die Hälfte entfiel auf öffentliche Bäder, ein Viertel ereignete sich im privaten Garten (Pool, Biotop) und ein weiteres Viertel in Naturgewässern (Seen, Flüsse, Teiche).

Privater Pool und Fluss besonders gefährlich

Die Überlebenschance war hingegen in öffentlichen Bädern mit 93 % am höchsten. Wesentlich schlechter sah es im privaten Garten und in Flüssen aus: Hier endete rund ein Drittel der Vorfälle tödlich. Das Risiko, dass Ertrinkungsunfälle tödlich enden ist damit in Flüssen fünfmal so hoch und im privaten Gartenpool viermal so hoch wie im öffentlichen Schwimmbad oder im Badesee.

Durchschnittliches Unfallalter stieg – abnehmende Schwimmkenntnisse?

In Bezug auf das Unfallalter gibt es eindeutige Tendenzen: Im privaten Bereich sind die Unfallopfer durchschnittlich gerade mal 2 Jahre alt, im öffentlichen Schwimmbad knapp 6 und in Naturgewässern fast 7 Jahre alt. „Auffällig ist auch, dass Ertrinkungsopfer in den letzten Jahren älter geworden sind. Lag das durchschnittliche Alter von Kindern mit Ertrinkungsunfällen im Zeitraum 2007-2011 noch bei 4,2 Jahren, so stieg es kontinuierlich an und betrug im Zeitraum 2017-2021 6,1 Jahre. Spitzer: „Zahlreiche Studien und Beobachtungen legen nahe, dass die Schwimmkenntnisse von Kindern und Jugendlichen leider in den letzten Jahren abgenommen haben. Gründe dafür sind vermutlich vielfältig: Das Schwimmen(lernen) hat in der Schule keinen (so hohen) Stellenwert mehr und auch Eltern vermitteln den Kindern durchschnittlich weniger Schwimmkenntnisse. Überhaupt steht der ‚Fun- und Erlebnisfaktor‘ mit planschen, springen und rutschen absolut im Vordergrund. Richtig geschwommen wird kaum noch – und man hält sich prinzipiell dort auf, wo man noch stehen kann.

In der wissenschaftlichen Literatur findet man zudem sehr häufig, dass Kinder mit einem niedrigeren sozialen Status und Kinder mit beidseitigem Migrationshintergrund häufiger Nichtschwimmer:innen sind. Darüber hinaus konnten durch die Corona-Beschränkungen viele Schwimmkurse nicht abgehalten werden, und aufgrund der hohen Erhaltungskosten gibt es zudem in immer weniger Gemeinden Schwimmbäder.“

Von Sprungbrett bis Wasserrutsche: Was sonst noch im und am Wasser passiert

Neben den Ertrinkungsunfällen schaute sich der Verein GROSSE SCHÜTZEN KLEINE auch die sonstigen Unfallhergänge rund um Schwimmbad & Co. an. Diese Studie wurde durch das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz unterstützt, wobei die Erkenntnisse zu Verbesserungen in der Produktsicherheit in entsprechende Maßnahmen und Normen einfließen sollen.

Bei dieser Analyse wurden die 1.320 Unfälle von 0-18-Jährigen aus dem Zeitraum 2015-2021 betrachtet, die an der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie Graz nach einem Unfall im „Freizeitraum Wasser“ behandelt wurden.

Hochgerechnet auf Österreich verunfallen pro Jahr etwa 2.700 Kinder und Jugendliche bei ihren Freizeitaktivitäten im und am Wasser.

Das Durchschnittsalter der Verunfallten betrug 9 Jahre. „Die meisten Unfälle ereigneten sich am späten Nachmittag. Vermutlich spielten hier Müdigkeit und Erschöpfung nach einem langen (Bade-)Tag mit“, so Spitzer

Burschen in der Pubertät verunfallten am häufigsten im und am Wasser

Im Hinblick auf die verschiedenen Altersgruppen treffen diese Unfälle im und am Wasser zum größten Teil (43 %) ältere Kinder zwischen 10 und 14 Jahren. Ein Drittel der Verunfallten war im Volksschulalter, 16 % waren Kleinkinder unter 5 Jahren und 7 % Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren. Differenziert man nach Geschlechtern, so zeigt sich  mit 61 % ein Überhang bei den Burschen. Spitzer vermutet: „Hier spielt sicher die Pubertät sowie das damit verbundene ‚Gruppen- und Imponierverhalten‘ eine nicht zu unterschätzende Rolle.“

Frakturen, Zahnverletzungen, Schädel-Hirn-Traumata: 25 % schwere Verletzungen

Generell passierten vor allem offene Wunden und oberflächliche Verletzungen (je 24 %), gefolgt von Prellungen (14 %) und Knochenbrüchen (13 %). Till betont: „Auch schwere Zahnverletzungen (6 %) sowie Schädel-Hirn-Traumata (4 %) kamen immer wieder vor. Betrachtet man die Verletzungsschwere, so war gut jede vierte Verletzung eine schwere.

Auffällig bei dieser Art von Unfällen war, dass fast die Hälfte der Verletzungen den Kopf betraf, gefolgt von Verletzungen der Beine/Füße (27 %), der Arme/Hände (14 %) und des Körperstammes (11 %)“.

Achtung bei Salto- und Köpflerversuchen, Rutschen in Bauchlage vermeiden

78 % der Wasser-Unfälle fernab des Ertrinkens ereigneten sich im öffentlichen Bereich (Schwimmbad, Badesee u. Ähnl.), 22 % am privaten Pool.

Die Verletzungsursachen waren am häufigsten das Anhauen/Anstoßen an einem Objekt und das Stürzen in der Ebene. Auch die allgemeine Bewegung im Wasser, die Kollision mit einer anderen Person, der Sturz aus der Höhe (Sprungturm, Poolleiter) sowie die Verletzung durch einen Fremdkörper kamen oftmals vor.

Till: „Betrachtet man die Unfälle im Schwimmbecken, so zeigt sich, dass sich die Kinder und Jugendlichen meist am Beckenrand anhauten – oftmals bei Salto- oder Köpflerversuchen. Auch die Tiefe des Beckens wurde regelmäßig unterschätzt, was ein schmerzhaftes Anstoßen am Boden des Beckens zur Folge hatte. Meist betrafen diese Unfälle auch die 10-14-Jährigen.“

Am Pool im eignen Garten finden sich sehr häufig Verletzungen durch das Unterschätzen von Wassertiefe und Poolgröße (v.a. bei Jugendlichen). Zudem stehen Unfälle aufgrund von Abstürzen von der Pool-Leiter sowie Stürze im Bereich die Pool-Außenumrandung im Vordergrund.

Bei Wasserrutschen fand sich das Anhauen/Anstoßen am Rutschenkorpus an erster Stelle. Daneben waren auch Kollisionen mit anderen Rutscher:innen häufig. Das Ausrutschen oder Herunterstürzen von der Leiter oder der Rutsche kamen selten, aber doch, vor. Auffällig oft kommt es bei Rutschunfällen zu Zahntraumata im Sinne von ausgeschlagenen Zähnen (20 %) – vor allem am Rutschen-Ende beim Rutschen in Bauchlage.

Sprungturm-Unfälle betrafen großteils (83 %) Burschen im Alter von durchschnittlich 11 Jahren. Klassische Unfallmuster waren das Anhauen am Brett/Turm beim Saltoversuch, und das Ausrutschen beim Wegspringen. Vereinzelt kam es auch zum Absturz vom Sprungturm auf den Betonboden, zu Verletzungen aufgrund des unkontrollierten Aufschlagens auf die Wasseroberfläche aus großer Höhe sowie zum Ausrutschen und Abstürzen auf/von der Leiter.

Sicherheitstipps für den „Freizeitraum Wasser“

 

Allgemein:

  • Kinder im und am Wasser immer beaufsichtigen bis sie sehr gut schwimmen können und mind. 10 Jahre alt sind.
  • Verlassen Sie sich nicht auf Schwimmhilfen: Sie bieten keinen zuverlässigen Schutz!
  • Älteren Geschwistern nicht die Aufsicht übertragen.
  • Kleinkindern beibringen, nur mit Erwachsenen ans und ins Wasser zu gehen und größeren Kindern, immer nur zu zweit zu schwimmen.
  • Wenn Kinder verschwunden sind: Immer zuerst dort suchen wo Wasser ist!
  • Zumindest für kleinere Kinder empfehlen sich im Planschbecken und im Schwimmbad rutschfeste Badeschuhe.
  • Besprechen Sie mit Ihrem Kind die wichtigsten Baderegeln – erklären Sie ihm auch den Sinn dahinter und welche Gefahren damit vermieden werden.
  • Achtung bei Kindergruppen – gerade in der Pubertät: Mehr Kinder, mehr „Kreativität“ und „Imponierverhalten“. Erklären Sie Ihren Kindern, dass es eine schmale Gratwanderung zwischen Spaß und Ernst sein kann – vor allem beim Tauchen, Springen und Rutschen!
  • Belastung für den Körper durch Hitze an langen Badetagen nicht unterschätzen.

Privater Pool/Teich:

  • Pools/Biotope/Teiche mit einem 1,5 m hohen Zaun und selbstschließender Tür sichern oder mit einer versperrbaren Überdachung ausstatten.
  • Überlegen Sie gut: Muss ein privater Pool wirklich jetzt schon sein oder wollen Sie lieber damit warten, bis die Kinder älter sind und bereits (gut) schwimmen können?
  • Für private Pools gibt es elektronische Sicherheitssysteme, die Alarm schlagen, wenn ein Kind unbeobachtet ins Wasser geht oder zu ertrinken droht.
  • Achten Sie auf eine sichere Poolumgebung (Achtung bei Steinfliesen, scharfen Kanten und Ecken).
  • „Hochpool“: Bedenken Sie die Gefahr des Herunterstürzens von der Leiter und die des Herausstürzens über den Poolrand.
  • Auch in der übrigen Jahreszeit stellen das Wasser in einem Pool, eine Poolabdeckung mit Plane oder ein leerer „Tiefpool“ eine entsprechende Gefahr dar.

Öffentliches Schwimmbad:

Wasserrutsche und Sprungturm:

  • Vorsicht beim Aufstieg/auf der Leiter (Sonnenmilch, Wasser, Gedränge)
  • Regeln/Hinweisschilder beachten.
  • Abstand halten, vor dem Rutschen/Springen schauen, ob „die Bahn“ frei ist.
  • Einmündungsbereich sofort verlassen.

Erste Hilfe

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