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Unfälle bei Kindern mit Schockraum-Erstversorgung und Langzeitbehandlung – Fokusreport

Getagged in: Schockraum, schwerste Jugendunfälle, schwerste Kinderunfälle

Zusammenfassung

Diese vorliegende Studie untersucht die Unfälle von Kindern und Jugendlichen, welche mit dem Notarzt boden- oder luftgebunden an die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendchirurgie eingeliefert wurden, wobei die zusätzliche Einschränkung in der Patientenauswahl bei einer Verletzungsschwere liegt, die mit einem Injury Severity Score von 9+ bewertet wurde.
Der Injury Severity Score (ISS) ist eine anatomische Verletzungsgradtabelle zur Einordnung der Schwere von Verletzungen. Bewertungsgrundlage ist der jeweilige Schweregrad bei den Einzelverletzungen gemäß der vereinfachten Verletzungsskala Abbreviated Injury Scale (AIS98). Die ISS-Werte liegen zwischen 0 (unverletzt) und 75 (polytraumatisierte Patienten).

Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendchirurgie Graz ist ein überregionales Traumazentrum und somit die erste Anlaufstelle für schwerverletzte Kinder und Jugendliche nicht nur für die Steiermark selbst, sondern auch für die angrenzenden Bundesländer Kärnten und Burgenland, also ein Versorgungszentrum für den südösterreichischen Raum. Als solch ein überregionales Traumazentrum muss es mindestens zwei Schockraumpatient*innen gleichzeitig versorgen können. Nach der Erstversorgung im Schockraum wird der Patient in der Regel auf eine Intensivstation oder direkt in den Operationssaal verlegt. Die Erstversorgung des polytraumatisierten Kindes oder Jugendlichen wird im Schockraum des Krankenhauses vorgenommen. Es erfolgt die Erstversorgung nach standardisierten Vorgehensweisen (ATLS – Advanced Trauma Life Support). Diagnostik und Behandlung erfolgen interdisziplinär unter Hinzunahme verschiedener Fachrichtungen.

Die quantitative Analyse in dieser Studie umfasst die Grunddaten von Patienten*innen zwischen 0 und 17 Jahren, die in den Jahren 2017 bis 2020 in die Kinder- und Jugendchirurgie nach einer Verletzung eingeliefert wurden.

An der Kinder- und Jugendchirurgie Graz werden pro Kalenderjahr rund 14.000 Patient*innen bis zum 17. Lebensjahr nach einem Unfall medizinisch versorgt. Rund 8 % von diesen Kindern und Jugendlichen müssen stationär aufgenommen werden. Dieser Anteil der stationären Aufnahme sagt jedoch nichts über die medizinische Beurteilung der Verletzungsschwere aus. Die sogenannte schwere Verletzung mit Frakturen, Bänder- und Sehnenrissen sowie Schädelhirntraumen und Wunden mit Heilungsstörungen macht im Schnitt rund ein Drittel der Verletzungen aus.

Die qualitative Analyse in dieser Studie umfasst die Grunddaten und medizinischen Spezialdaten von Patienten*innen zwischen 0 und 17 Jahren, die in den Jahren 2017 bis 2020 über den Schockraum an die Kinder- und Jugendchirurgie eingeliefert und mit einem Injury Severity Score (ISS) von 9 und mehr klassifiziert worden sind. Letztlich konnten für diesem Untersuchungszeitraum 137 Patient*innen eingeschlossen werden, wobei fünf Kinder bei der Ankunft im Spital in einem so schlechten Vitalzustand waren, dass sie bereits im Schockraum verstarben.

Ein Vergleich mit den Anteilen an der jeweiligen gesamten Behandlungszahl gibt uns die Möglichkeit einer Einschätzung der Bedeutung dieser schweren Unfälle in einem Behandlungsjahr. Dieser Vergleich zeigt, dass Unfälle bei Kindern und Jugendlichen mit einem äußerst ernsten und lebensbedrohlichen Vitalstatus (ISS 9+) bei der Einlieferung in das Traumzentrum mit einem Anteil von rund 0,25 % (Range n= 29 bis 43) an allen behandelten Personen sehr selten sind. Der Vergleich der Studiengruppe mit den stationären Fällen insgesamt zeigt weiters, dass sich der Anteil von schweren Verletzungen und Polytraumen mit einem Injury Severity Score von 9+ bei rund 3 % bewegt. Neun von zehn eingelieferten Patient*innen unserer Zielgruppe können mit einem ISS-Score von unter 25 beurteilt werden, was letztendlich keines bis geringes Risiko für eine Sterblichkeit aufgrund der vorliegenden Verletzung bedeutet. Jeweils sechs Patienten*innen fallen unter die Gruppe derer mit mittlerem und sehr hohem Risiko für eine Sterblichkeit. In 10 % der eingelieferten Fälle war der Kreislauf nicht stabil und in 27 % musste eine Atemwegssicherung durchgeführt werden, also eine Sicherung der Atemwege für die spontane Atmung oder externe Beatmung. Bei einem Viertel der eingelieferten Patient*innen fiel die Verletzung unter die Definition eines Polytraumas, also die gleichzeitige Verletzung verschiedener Körperregionen oder Organsysteme, wobei bereits eine Verletzung davon allein oder die Kombination von mehreren Verletzungen unmittelbar lebensbedrohlich ist.

Die monatliche Verteilung der Unfälle, die im Schockraum erstversorgt wurden, entspricht dem üblichen Verteilungsmuster von Mengengipfeln im Frühjahr und Spätsommer bis Herbst und den Zahlentälern im Frühsommer und Winter. Im Altersschnitt sind die Patienten*innen 10,54 Jahre alt, wobei das Patientengut eine Altersrange von 0 bis 17 Jahre umfasst. Unsere 137 Patienten*innen sind zum Großteil, nämlich zu 78 %, männlich. Dieser Wert ist im Gegensatz zu den üblichen 57 % bis 60 % für diese Geschlechtergruppe sehr hoch und unterstreicht wiederum das mit dem Alter wachsende Risiko nicht nur für Unfälle, sondern auch für schwere Verletzungen für die männliche Bevölkerungsgruppe.

Ein Vergleich der verletzten Körperregionen zeigt sehr gut, dass die „ISS 9+“ – Verletzungen sehr stark den Körperstamm betreffen, also Thorax, Abdomen und Becken. Bei unseren 137 Patienten*innen wurden 196 relevante Verletzungen kategorisiert, wobei Verletzungen der Extremitäten mit 49 % an der Spitze der betroffenen Körperregionen waren, gefolgt von Verletzungen an Kopf und Nacken. Beinahe drei Viertel der eingelieferten Unfallopfer mussten operativ versorgt werden. 6 % davon waren von weiteren Operationen betroffen. Dieser große Anteil der operativen Versorgung bedeutet auch entsprechende Anteile an stationären Aufenthalten und Versorgungstagen auf der Intensivstation. Jede*r zweite Patient*in lag letztlich auch auf der Intensivstation. 23 Patient*innen (34,3 %) verbrachten mehr als die Hälfte ihres Aufenthaltes ebendort. Davon sind 3 Personen sogar direkt von der Intensivstation in eine Rehabilitation verlegt worden. In Summe verbrachten somit 132 Patienten*innen 2.024 Tage im Krankenhaus, wobei sie 635 Tage (31,4 %) auf der Intensivstation lagen. Im Schnitt sind dies somit pro Fall 15 Tage Aufenthalt im Krankenhaus.

Eine Gegenüberstellung der Unfallkategorie bei den Gesamtdaten mit den Studiendaten zeigt eine extreme Zunahme der Anteile von Verkehr und Landwirtschaft bei den lebensbedrohlichen Verletzungen nach einem Unfall. Die Ursache dafür liegt in den Kräften, die bei einem Unfall mit „Maschinen“ frei werden, und der daraus resultierenden Unfallenergie, die auf den zumeist ungeschützten Körper einwirkt. In einem Innenbereich passierten 18 % der Unfälle. Dieser Gipfel bei unseren Daten im Außenbereich macht deutlich, dass bei Tätigkeiten im Freien offensichtlich mehr Tempo vorhanden ist und somit auch mehr Unfallenergie auf den Körper tritt, was schließlich in schwerere Verletzungen mündet.

Eine Analyse des Unfallortes nach den Altersgruppen zeigt, dass signifikant häufiger die Jüngsten im Indoor-Bereich verunfallen und die Jugendlichen im Outdoor-Bereich. Die Unfallkategorien sind breit gefächert. An der Spitze der Häufigkeitstabelle steht der Verkehrsunfall mit 41 %, gefolgt von Freizeit und Sport mit 32 % und dem Bereich von Haus und Garten mit 13 %. Eine detaillierte Betrachtung der einzelnen Unfallkategorien, bei denen zumindest 5 Nennungen vorkommen, sieht den Mopedunfall mit 20 % ganz vorne, gefolgt vom Fußgängerunfall und dem Sturz beim Schifahren – also alles Bereiche mit hohem Fortbewegungstempo und somit mit hoher Unfallenergie. Letztlich kann man mit 10 Hauptkategorien knapp 75 % der Unfälle abbilden, die medizinisch als schwere Traumen zu klassifizieren sind.

Eine grobe Kostenschätzung des medizinischen Aufwandes für die gesamte Behandlung inklusive Operationen, intensivmedizinischer Betreuung und stationärem Aufenthalt liegt bei rund € 2,6 Millionen. Wollte man diese Kostenfaktoren wiederum auf einen Unfall mit schwerer Verletzung herunterbrechen, so kann man in einer Annäherungsrechnung festhalten, dass die Behandlung einer schweren Verletzung (ISS 9+, Polytrauma) aufgrund eines Unfalls im Schnitt 20.000 Euro kostet. Dies ist wiederum das Fünffache eines gesamtdurchschnittlichen stationären Aufenthaltes.

Die in dieser Studie untersuchten sehr schweren Verletzungen von Kindern und Jugendlichen nach einem Unfall umfasst letztendlich die gesamte Bandbreite der Unfallkategorien, wobei mehr Fortbewegungstempo automatisch zu mehr Unfallenergie und schwerer Verletzung führt. Die Prävention für den einzelnen Bereich ist als spezifisch anzusehen und vielfach schon in Einzelstudien dargelegt.

Die Ansätze für eine erfolgsversprechende Intervention orientieren sich an TOP-Kategorien:

  • Technik-Sicherheitstechnik
  • Organisation – Ablauf, Prozesse
  • Person – Verhalten, Entwicklungsstatus

Übergeordnet sind zwei zentrale Punkte für eine Unfallverhütung in diesen Bereichen anzuführen:

  • Risk Literacy bei den Eltern
  • Risk Competence bei den Jugendlichen

Dieses Konzept von Risk Competence und Risk Literacy bedarf einer Integration in den Schulbetrieb als explizite Stunden, um die Anforderungen und den Bedarf über die Schulzeit hinweg altersadäquat umsetzen und abdecken zu können.