Zuhause

Spielverderber Schwerkraft: Sturzunfälle im Wohnbereich bei 0 bis 5-Jährigen

Getagged in: Fenstersturz, Kindersicherheit, Kleinkinder, Sicheres Wohnen, Sicheres Zuhause, Stolperfallen, Sturz, Sturz aus dem Gitterbett, Sturz aus dem Hochstuhl, Sturz aus dem Kinderwagen, Sturz vom Hochbett, Sturz vom Sofa, Sturz von der Couch, Sturzunfälle

69 % aller Unfälle, nach denen 0-4-Jährige an der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie Graz behandelt werden, sind Stürze in der Ebene oder aus der Höhe. Eine Studie des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE zeigt: Manche Stürze gehören bei Kleinkindern einfach dazu, viele – vor allem solche aus der Höhe! – wären aber oftmals leicht zu verhindern. Wie können Jungeltern die Gratwanderung zwischen schützen und überbehüten meistern?

 

In der Studie „Spielverderber Schwerkraft“ hat der Verein GROSSE SCHÜTZEN KLEINE 4.709 Sturzunfälle im Wohnumfeld, nach denen die Kinder an der Grazer Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie behandelt wurden, analysiert. Diese betreffen erwartungsgemäß vorrangig Kinder zwischen 0 und 4 Jahren.

 

7 von 10 Kleinkindern ziehen sich beim Sturz Kopfverletzungen zu

Da der Kopf bei Babys 25 % des gesamten Körpergewichts ausmacht (beim Erwachsenen nur 6 %), stehen Kopfverletzungen bei Sturzunfällen von Kleinkindern mit 73 % ganz oben. Das erklärt auch, warum die Jüngsten wesentlich häufiger – oft auch nur zur Beobachtung – im Spital bleiben müssen als die Älteren.

„Die häufigsten Verletzungen sind Schädelprellungen (32 %), gefolgt von Wunden (30 %), anderen Prellungen (12 %) und Knochenbrüchen (11 %). Eines von fünf Kindern verletzt sich beim Sturz schwer. Hier findet man Knochenbrüche ganz oben auf der Diagnoseliste gefolgt von Schädel-Hirn-Traumen“, weiß Univ.-Prof. Dr. Holger Till, Präsident des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE und Vorstand der Univ.-Klinik für Kinder und Jugendchirurgie Graz.

 

Häufigste Sturz-Unfälle: Herumlaufen, Treppe, Couch, Bett, Sessel und Elternarme

Die typischen Stürze im Kleinkindalter teilen sich in drei Bereiche auf: 41 % sind Stürze in der Ebene (umfallen, stolpern, ausrutschen,…), bei 39 % handelt es sich um einen Stürz aus der Höhe (meist Couch, Bett, Elternarme, Treppe, Wickeltisch, Hochstuhl, aber auch Fenster) und 20 % sind Stürze gegen einen Gegenstand (meist ein Möbelstück).

Die Couch im Wohnzimmer ist der häufigste Einrichtungsgegenstand, von dem der Absturz erfolgt. Danach kommen das Elternbett und der Sessel. Diese drei Produkte sind bei 86 % der Unfälle beteiligt. Bei den speziellen Kindermöbeln liegt das Kinderbett mit großem Abstand an der Spitze. Unfälle in Zusammenhang mit Bestandteilen der Wohnung bzw. des Hauses ereignen sich mit wohnbaumäßigen Teilen, die man grundsätzlich natürlich nicht so einfach abschaffen kann. Eindeutig voran liegt hier der Sturz von der Treppe mit einem Anteil von 90 %.

 

Unfallverzeihendes Wohnumfeld statt Watteanzug

Studienautor Dr. Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE betont: „Sehr viele Verletzungen im ersten Lebensjahr sind durch Umsicht der Eltern zu verhindern. Sind die Kinder selbständig unterwegs, ist der Weg zur trittsicheren Fortbewegung noch ein langer. Aktive Unterstützung des Kindes beim Gehen wie auch ein Unfall verzeihendes Wohnumfeld (grundsätzliche Raumgestaltung und Möbelpositionierung, Teppich als Fallschutz, Ecken- und Kantenschutz in Sturzräumen, Vermeidung von Stolperfallen) sind in dieser Entwicklungsphase wichtige Maßnahmen“. Die für uns Menschen so wichtige Bewegung ist natürlich untrennbar mit Sturzunfällen verbunden. Beim Menschen ist Bewegung bzw. Motorik die Voraussetzung für Entwicklungsfortschritte auf allen Gebieten. Wissenschaftliche Studien belegen, dass viel Bewegung die Entwicklung motorischer Fertigkeiten unterstützt und auch die Koordinationsfähigkeiten signifikant erhöht. Bei Bewegung und der damit verbundenen Eroberung des Raumes kommen alle Sinne zum Einsatz. Erst die Entwicklung seiner motorischen Fähigkeiten ermöglicht es dem Kind, Teile seiner Umwelt zu “begreifen” und zu “erfassen” (im wörtlichen und im übertragenen Sinne), seinen Lebensraum beständig zu erweitern und zu erforschen, seine Unabhängigkeit zu steigern und neue Erfahrungen zu sammeln, die für seine weitere Entwicklung enorm wichtig sind.

 

Stress rausnehmen und Entwicklungsschritte des Kindes beachten

Stress und Hektik, zu viel zugleich erledigen zu wollen, Multitasking eben, erhöht das Unfallrisiko stark. „Auch abwarten zu wollen, bis ein Kind von selbst Interesse für eine Sache zeigt, widerspricht beinahe unserem schnelllebigen Zeitgeist. Es ist jedoch nicht so einfach, die seit Jahrtausenden etablierten Schritte der menschlichen Entwicklung grundsätzlich zu beschleunigen. De facto benötigen Babys und Kleinstkinder keine Stimulation. Sie bewegen sich ganz von selbst und aus einem Eigenantrieb heraus“, so Spitzer. Aufrichten, Aufstehen und Gehen lernen ist für das Kind ein fortwährendes Abenteuer und ein andauernder Versuch, in immer schwierigeren Positionen das bewegliche Gleichgewicht nicht zu verlieren. Im Schnitt können Kleinstkinder mit 10 Monaten frei sitzen und mit 20 Monaten frei und sicher gehen. Aber erst mit dem siebten Lebensjahr ist der Lernprozess des Gehens und die Stabilisierung des Gangmusters abgeschlossen. Der Entwicklungsstand eines Kindes und seine psychomotorischen Fähigkeiten sind ausschlaggebend dafür, ob und wie ein Kind die Gefahren des täglichen Lebens erkennen, mit ihnen umgehen und präventive Maßnahmen ergreifen kann. Till und Spitzer abschließend: „Eltern sind beim Schutz der Jüngsten von größter Bedeutung. Sie kennen das Wohnumfeld ihres Kindes und die gerade aktuellen Entwicklungsschritte. Eine Sensibilisierung für beides ist von großer Bedeutung für die Kindersicherheit in den ersten Lebensjahren“. Unterstützt wurde die Umsetzung der Studie durch das Wissenschaftsressort des Landes Steiermark. „Das Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins GROSSE SCHÜTZEN KLEINE ist ein wertvoller Partner für die Forschung im Interesse unserer Kleinsten. Denn letztendlich hilft jede neue Studie mit ihren Ergebnissen, die Sicherheit von Kindern zu erhöhen und Unfälle sowie Gefahren zu vermeiden“, so Forschungslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl.

 

Sicherheitstipps: So einfach lassen sich die größten Sturzgefahren entschärfen

Sturz beim Gehen/Laufen:

  • Stolperfallen aus dem Weg räumen
  • Auf rutschfeste Böden/Teppiche achten
  • Für scharfe Ecken/Kanten Schutzartikel verwenden
  • Auf „Lauflernhilfen“ verzichten

Fenstersturz:

  • Versperrbare Fenstergriffe montieren/nachrüsten
  • Kinder niemals beim Lüften aus den Augen lassen

Treppensturz:

  • Treppenschutzgitter montieren
  • Auf rutschfeste Stufen und Handlauf achten
  • Kind beim Stiegen gehen so lange wie nötig unterstützen

Sturz vom Wickeltisch:

  • Immer eine Hand am Baby haben
  • Quirlige Babys/Kleinkinder besser am Boden wickeln

Sturz von Couch/Elternbett:

  • Bettschutzgitter montieren/Baby wandseitig schlafen lassen
  • Flauschigen Teppich vor Bett/Couch legen
  • Kanten/Ecken bei Couchtischen ggf. mit Schutzartikeln entschärfen

Sturz aus Gitterbett/Hochbett:

  • Lattenrost bei Gitterbett frühzeitig absenken; später 2-3 Gitterstäbe rausnehmen
  • Hochbett erst ab Schulalter verwenden und am Hochbett nicht toben, springen,…

Sturz aus Hochstuhl:

  • Gurte verhindern dass Kleinkinder „rauskippen“
  • Auf stabilen Stand des Hochstuhls achten

Sturz aus Kinderwagen:

  • Kind anschnallen
  • Für stabilen Stand des Wagens sorgen
  • Bei Halt Bremse immer feststellen

Sturz aus Autokindersitz:

  • Kinder in der Babyschale niemals auf Tischen, Sesseln & Co. abstellen
  • Kleinkinder bei offener Autotür nicht unangeschnallt drinnen sitzen lassen